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Verbrechermenschen

Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen, Campus Bibliothek

Erschienen am 12.02.2013
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593399126
Sprache: Deutsch
Umfang: 248 S.
Format (T/L/B): 1.6 x 21.3 x 14.6 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Schon schien es, als ob die Versuche, kriminelle Menschen als "andersartig" zu etikettieren, der Vergangenheit angehörten. Mittlerweile jedoch erleben wir - aus den USA kommend - eine neue Faszination für Serienkiller und Profiler, eine Renaissance des harten Strafens, den Abbau rechtsstaatlicher Sicherungen, die partielle Aufhebung menschenrechtlicher Garantien und eine neue biologistische Welle in der Kriminologie. Damit ist Peter Strassers zuerst 1984 erschienene, hier durch ein neues Kapitel ergänzte Streitschrift gegen die Mystifizierung des Verbrechers als "böse", "krank" - eben: anders - heute wieder hoch aktuell.

Autorenportrait

Peter Strasser lehrt Philosophie und Rechtsphilosophie an der Universität Graz.

Leseprobe

Heute ist das alles bereits Geschichte. Soziologie, Psychiatrie, Kriminologie - sie haben samt und sonders aufgehört, in der Öffentlichkeit als kritische Wissenschaften in Erscheinung zu treten. Das ist nicht nur die Folge einer Ermüdung des Theorieeifers, wie er insbesondere in den Gesellschaftswissenschaften seit den 1980er Jahren massiv bemerkbar wurde. Zwei andere Faktoren scheinen mindestens ebenso wichtig. Erstens erreichten die Kritiker von einst nach Jahrzehnten der Agitation tatsächlich mehr, als sie zunächst vielleicht erwarten durften: Die europäischen Rechtsordnungen humanisierten in vielen Aspekten die nationalen Strafordnungen, ob es sich nun um den Strafvollzug selbst, die Behandlung jugendlicher Rechtsbrecher, die Bereitstellung therapeutischer Hilfeleistungen oder allgemein den Ausbau resozialisierender Maßnahmen handelte. Zweitens jedoch - und damit zusammenhängend - verflachte schließlich der humanitäre Elan, während gleichzeitig wieder stärker die verschiedenen Bedrohungen, denen unsere freizügigen, liberalen, multikulturellen Gesellschaften durch verbrecherische Elemente ausgesetzt sind, in den Vordergrund gerückt wurden. Die Kriminologie begann erneut, das zu werden, was sie schon einmal war: eine Wissenschaft zur Erforschung des Verbrechens und des asozialen Menschen, auch der kriminellen Subkulturen aus dem Bereich des organisierten Diebstahls, des Drogen- und Frauenhandels, des Menschenschmuggels inmitten anwachsender Asylantenströme. Eine symptomatische Entwicklung stellt die Gestalt und Popularität des so genannten Profilers dar - offizielle Bezeichnung: »criminal investigative analyst«, eine seit 1978 beim FBI formal anerkannte Position. Diese neuere Gestalt des kriminologischen Betriebs benützt teils empirische, teils intuitive Methoden der Einfühlung in einen Verbrecher, nicht, um ihm gegenüber mitmenschliche Anteilnahme zu entwickeln, sondern um seine nächsten Schritte voraussehen zu lernen, damit die Polizei seiner habhaft werden kann. Als der FBI-Agent John Douglas zusammen mit Robert Ressler Ende 1970 eine Spezialeinheit für Serienverbrecher übernahm, musste er gegen ein eingefleischtes Vorurteil seiner Kollegen ankämpfen. Allgemein hielt man Psychologie und Verhaltensforschung für nutzlosen Quatsch. Deshalb änderte Douglas den Namen der FBI-Einheit, die er übernahm, von BSU, »Behavioral Science Unit«, zu ISU - »Investigative Support Unit«. »Und wenn mich jemand fragte, wieso, erklärte ich ihm ganz offen, ich wolle die BSU von dem BS befreien, dem bullshit.« (Douglas 1996: 103) In den Hochsicherheitstrakten der amerikanischen Gefängnisse führen Douglas und Ressler lange Gespräche mit verurteilten Mördern, Vergewaltigern und anderen Gewaltverbrechern. Doch das Verstehen, nach dem sie suchen, hat mit der alten humanitären Devise Tout comprendre est tout pardonner gar nichts mehr zu tun. Die Profiler versuchen weder, den Gefangenen zu verstehen, um den Rachegelüsten einer aufgebrachten öffentlichen Meinung entgegenzuwirken, noch liegt ihnen irgendetwas an der Möglichkeit von Resozialisierung und Therapie. Stattdessen werden sie nicht müde zu betonen, man müsse sich bei der Täterausforschung noch in die Psyche des schrecklichsten Monsters einleben können, weil man nur so lerne, ihm Fallen zu stellen. Das Original des Buches von Douglas trug den Titel Mindhunter, ein Spiel mit dem Wort »Manhunter«, dem simplen Verbrecherjäger, der nun dem erfolgreicheren Psychojäger gegenübergestellt wurde. In der Geschichte des Profiling, dessen Popularität seit den 1980er Jahren unvermindert anhält - und das, obwohl es weder Beweise für die Seriosität der Methoden noch für die hohen Erfolgsraten der criminal investigative analysts gibt -, drückt sich eine reaktionäre Tendenz aus: eine Art Lombrosianisierung des Blicks auf den kriminellen Menschen. Verbrecher sind eben nicht Menschen wie du und ich, sie sind grundsätzlich anders. Diese Andersheit hatte Cesare Lombroso durch den Begriff des Homo Delinquens - in ausdrücklicher Abgrenzung zum Homo Sapiens - markiert. Doch die Frage der biologischen im Gegensatz zur psychologischen Andersartigkeit stellt sich erst auf einer zweiten Ebene. Auf der ersten Ebene geht es darum, der Öffentlichkeit klar zu machen, dass der Gewohnheits- und Schwerverbrecher »anders« ist, weil er die Welt anders sieht und erlebt als wir normale Menschen. Der Profiler muss also über die Fähigkeit verfügen, sich in den Geist des Monsters wie in das Innenleben eines Aliens einzuklinken. Die beliebte TV-Serie Profiler hat dazu eine Gerichtspsychologin mit geradezu übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet. Diese fiktive Figur namens Dr. Samantha Waters, die für die FBI Violent Crime Task Force arbeitet, besitzt das Vermögen, in Bildern zu »denken«. Sie visualisiert ein Verbrechen durch die Augen des Mörders ebenso wie durch die Augen des Opfers.

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Verbrechermenschen Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen

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