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Was Schillers Glocke geschlagen hat

Vom Nachklang und Widerhall des meistparodierten deutschen Gedichts

Erschienen am 28.02.2005
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446205932
Sprache: Deutsch
Umfang: 176 S., 6 s/w Illustr., 6 Illustr.
Format (T/L/B): 1.6 x 19 x 12 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Schiller zu parodieren war bereits zu seinen Lebzeiten eine beliebte Beschäftigung und ist es bis heute geblieben. Wulf Segebrecht hat einige der schönsten Verunglimpfungen aus der Geschichte des Lieds von der Glocke ausgewählt. Böse Verballhornungen stehen neben ernsthaften Ehrerweisungen, ideologiekritische Umarbeitungen neben witzigen Nonsens-Versen. Garantiert nicht zum sturen Auswendiglernen, sondern zum puren Vergnügen.

Autorenportrait

Wulf Segebrecht emeritus fur Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universitat Bamberg. Er hat zahlreich Arbeiten zur deutschen Literatur vom Barock bis zur Gegenwart veroffentlicht, insbesondere über Lyrik. Zuletzt erschien bei Hanser Deutsche Balladen. Gedichte, die dramatische Geschichten erzählen (2012).

Leseprobe

Schillers Lied von der Glocke ist eines der populärsten deutschen Gedichte, obwohl es kaum noch jemand genauer kennt oder gar auswendig herzusagen weiß. Aber auch wer es nicht kennt, geht mit ihm um, beispielsweise dadurch, daß er es - absichtlich oder nicht - zitiert: "Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß / Soll das Werk den Meister loben, / Doch der Segen kommt von oben", "Wenn gute Reden sie begleiten, / Dann fließt die Arbeit munter fort", "Erröthend folgt er Ihren Spuren" "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, / Ob sich das Herz zum Herzen findet", "Wohlthätig ist des Feuers Macht, / Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht", "Alles rennet, rettet, flüchtet", "Er zählt die Häupter seiner Lieben" - diese und viele weitere Formulierungen des Gedichts sind längst in den alltäglichen Sprachgebrauch auch derer übergegangen, die von Schiller nichts wissen oder nichts mehr wissen wollen. Doch man verwendet derartige Kernsätze aus Schillers Lied von der Glocke nicht erst heutzutage mit ironischem Abstand; schon Schillers Zeitgenossen brachten dem Gedicht nicht nur Bewunderung, sondern auch Spott entgegen; "über ein Gedicht von Schiller, das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen", berichtete Caroline Schlegel ihrer Tochter im Herbst 1799, als die Romantiker in Jena das Gedicht gerade in Schillers Musenalmanach gelesen hatten. Noch über 150 Jahre später hat Thomas Mann diesen unbotmäßigen Lesern einen strengen Verweis erteilt; er findet ihre Reaktion "unangebracht bis zur Schnödigkeit" und gibt lieber Wilhelm von Humboldt recht, der meinte: "Die wundervollste Beglaubigung vollendeten Dichtergenies aber enthält das Lied von der Glocke. [.] In keiner Sprache ist mir ein Gedicht bekannt, das in einem so kleinen Umfang einen so weiten poetischen Kreis eröffnet". Lob und Tadel, kecker Widerspruch und ehrerbietige Würdigung haben Schillers hochambitioniertes Gedicht von Anfang an bis heute begleitet: Einerseits ist es zum hehren Bildungsgut geworden, das sich - früher - ganze Schüler-Generationen durch Auswendiglernen immer aufs Neue erwerben mußten, um es zu besitzen; andererseits hat man sich von dem idealistischen, aber auch ideologischen Gehalt des Gedichtes durch Kritik, Persiflage und Trivialisierung zu entlasten versucht, beispielsweise mit der praktischen Kurzfassung des langen Gedichts, direkt aus dem frechen Volksmund: "Loch in Erde / Bronze rin / Glocke fertig / Bim bim bim". Die folgende Darstellung enthält Texte und Illustrationen aus der Geschichte des Lieds von der Glocke von seiner Entstehung, Publikation und dramatischen Aufführung (Goethe schrieb für seine Inszenierung in Bad Lauchstädt den Epilog zu Schillers Glocke) über die weite Verbreitung (durch Kompositionen, Illustrationen, Deutungen und Übersetzungen) bis zur Diskussion darüber, ob man nicht besser ganz auf das Gedicht verzichten sollte, wie das Hans Magnus Enzensberger vorgeschlagen hat. Man begegnet ernsthaften Interpretationen und pornographischen Verballhornungen des Gedichts, liebevoll-idyllischen bildlichen Darstellungen (z.B. von Ludwig Richter) und umsichtigen Erläuterungen des dargestellten Glockengusses, witzigen Parodien und ideologiekritischen Text-Demontagen, insbesondere der in dem Gedicht enthaltenen Rollenklischees: "Der Mann muß hinaus / In's feindliche Leben", "Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau". Unter den Parodien der Glocke (über 100 Parodien lassen sich nachweisen), die das Gedicht auf die unterschiedlichsten Berufsstände (z.B. Drechsler und Bierbrauer) und auf Fertigungsprozesse (z.B. Wurst, Kaffee, Photographie), auf historische Ereignisse (z.B. Reichsgründung und Weltkrieg) und Lebenssituationen anwenden, finden sich schon sehr früh auch alles andere als harmlose Invektiven. Die politische Agitation steht neben der blöden Verulkung, die wohlmeinende Apologie neben der heftigen Attacke, der eilfertige Gebrauch neben dem üblen Mißbrauch von Schillers Gedicht. In der Summe erg Leseprobe

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