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Wirtschaftliche Interessen und juristische Ideen

Die Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland und den USA, Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung 71

Erschienen am 08.11.2010, 1. Auflage 2010
39,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593392929
Sprache: Deutsch
Umfang: 216 S.
Einband: Paperback

Beschreibung

Großunternehmen sind zentrale Akteure westlicher Gesellschaften. Sie üben massiven Einfluss auf das wirtschaftliche und politische Geschehen aus. Die Machtverteilung innerhalb von Großunternehmen ist daher eine Frage von gesellschaftlicher und politischer Tragweite. Am Beispiel des Aktienrechts in Deutschland und den USA beschreibt Philipp Klages, wie sich neue Machtverhältnisse und Interessen in Großunternehmen auf die Rechtsentwicklung niederschlagen können. So wurden zum Beispiel in beiden Ländern die Rechte von Minderheitenaktionären ausgeweitet, nachdem sich die Vorstände einiger großer Unternehmen deren Interessen plötzlich zu Eigen gemacht hatten.

Autorenportrait

Philipp Klages ist Post-Doktorand am Graduiertenkolleg "Märkte und Sozialräume in Europa" an der Universität Bamberg.

Leseprobe

Einleitung Spätestens seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das wirtschaftliche Geschehen in den entwickelten kapitalistischen Ländern von Großunternehmen dominiert. Als Arbeitgeber bestimmen sie über das Schicksal von Millionen von Beschäftigen. Als Großkunden entscheiden sie über das Schicksal mittelständischer Unternehmen. Besonders in den USA sind darüber hinaus weite Teile von Forschung und Bildung sowie Kultur auf das Engagement von Großunternehmen angewiesen. Schließlich üben sie massiven Einfluss auf das Handeln politischer Entscheidungsträger aus. Das Verhalten von Großunternehmen ist daher nicht nur relevant für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für die von Gesellschaft und Politik. Tendenziell nimmt die wirtschaftliche und politische Bedeutung von Großunternehmen sogar zu (für die USA siehe zuletzt Pryor 2002: 238-260). Aufgrund der vielfältigen Abhängigkeitsbeziehungen und Auswirkungen des Verhaltens von Großunternehmen gibt es zahlreiche Akteurgruppen, die sich darum bemühen, Einfluss auf das Verhalten ihres Führungspersonals auszuüben. Die Corporate-Governance-Forschung untersucht vor allem, inwieweit es den Minderheitsaktionären gelingt, die Vorstände von Aktiengesellschaften zur Maximierung der Aktionärsrenditen zu bewegen. Bei den Minderheitsaktionären handelt es sich heutzutage vor allem um die Betreiber von Pensions-, Investment- und Hedgefonds. In etwas zugespitzter Form formuliert verkörpern die Minderheitsaktionäre eine ausschließlich auf die Gewinnmaximierung ausgerichtete Wirtschaftspraxis. Insoweit sie das Prinzip der Gewinnmaximierung repräsentieren, stehen die Minderheitsaktionäre in Konflikt mit all jenen Akteuren, welche die durch eine reine Gewinnorientierung zu befürchtenden Schäden zu verhindern versuchen oder andere, mit einer reinen Gewinnorientierung schwer zu vereinbarenden Interessen verfolgen. Ob es sich hierbei um Unternehmen handelt, die sich zu strategischen Zwecken zusammengeschlossen haben und deshalb eine unternehmensübergreifende Perspektive einnehmen, oder um öffentliche Körperschaften, Gründerfamilien, Beschäftigte, Kunden, Gläubiger, Zulieferer, Umweltschützer oder um ein kollektives Interesse an sozialem Frieden und gesellschaftlicher Stabilität, ist hierbei zweitrangig. Entscheidend ist an dieser Stelle zunächst nur die Tatsache, dass an der Machtstellung der Minderheitsaktionäre abgelesen werden kann, wie groß das Gewicht einer an reinem Gewinnstreben orientierten Wirtschaftspraxis gegenüber den gesellschaftlichen Kräften ist, die an dessen Begrenzung interessiert sind. Seit etwa Mitte der 1990er-Jahre gibt es in den entwickelten kapitalistischen Ländern einen generellen Trend zur Ausweitung der Rechte von Minderheitsaktionären (Lele/Siems 2007; Siems 2005). Neben dem Auf- beziehungsweise Ausbau eines Kapitalmarktrechts, der Schaffung eines Übernahmerechts und der Verbesserung von Klagemöglichkeiten vor allem für kleinere Aktionäre ist es zur Ausweitung der Entscheidungskompetenzen der Hauptversammlung und der Stimmrechte der Minderheitsaktionäre gekommen. In ihrer Gesamtheit haben diese Maßnahmen die Stellung der Minderheitsaktionäre in den Aktiengesellschaften gestärkt und dazu geführt, dass diese ihre Renditeinteressen in den Unternehmen besser zur Geltung bringen können. Bezogen auf die Makroebene lässt das relative Gewicht einer ausschließlich an der Gewinnmaximierung orientierten Wirtschaftspraxis Rückschlüsse auf das Verhältnis des wirtschaftlichen Systems zu den anderen Lebensbereichen zu. Betrachtet man das Gewinnstreben als Leitprinzip moderner Wirtschaftssysteme, gibt die relative Macht der Minderheitsaktionäre einen Hinweis auf den Grad der Autonomie des wirtschaftlichen Systems. Max Weber bezeichnet eine rein am Gewinnstreben orientierte und gegenüber sämtlichen anderen Einflüssen indifferente Wirtschaftspraxis als ein formal rationales Wirtschaften (Weber [1922]1972: 44-45). Ethische, politische sowie alle sonstigen das Gewinnstreben potenziell beschränkenden »wertenden Postulate« fasst Weber hingegen unter den Begriff der materialen Rationalität. In Webers Terminologie kann das Ausmaß der Rechte der Minderheitsaktionäre somit als Hinweis auf den Grad der formalen Rationalität des Wirtschaftslebens betrachtet werden. Unterstellt man, dass die Minderheitsaktionäre die Ausdehnung ihres rechtlichen Einflussbereichs dazu nutzen, die von ihnen verfolgten Renditeinteressen innerhalb der Unternehmen durchzusetzen, lässt sich der Trend zur Ausweitung der Rechte von Minderheitsaktionären im Sinne einer Umkehrung des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft interpretieren. Dies ist insofern der Fall, als die Ausweitung des rechtlichen Einflussbereiches der Minderheitsaktionäre auf eine Erosion der gesellschaftlichen Vorkehrungen hinwirkt, die eine ungehinderte Durchsetzung des Profitstrebens bislang in Grenzen gehalten haben. In der Zuspitzung Karl Polanyis (1978: 108f.) bedeutet diese Entwicklung, dass die industrialisierten kapitalistischen Länder in den letzten zehn bis zwanzig Jahren der »Teufelsmühle« eines selbst regulierenden Marktsystems ein Stück näher gekommen sind. Insoweit die einmal aus ihren gesellschaftlichen Fesseln befreite Profitlogik in andere gesellschaftliche Handlungsbereiche eindringt und sie öko- nomischen Imperativen unterwirft, wäre eine Umkehrung des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft zu erwarten. Käme ein solcher Prozess zu seinem Abschluss, wäre die vollständige »Zerstörung der Gesellschaft« die unvermeidliche Konsequenz (Polanyi 1978: 108). Was die Frage nach den Ursachen für die Ausweitung des rechtlichen Einflussbereichs der Minderheitsaktionäre anbetrifft, wurden bislang vor allem die im politischen System agierenden Akteure in ihrer Beziehung zu den wirtschaftlichen Akteuren untersucht. Dabei wurde unter anderem auf die Bedeutung von MitteLinksParteien (Cioffi/Höpner 2006a; Höpner 2007b), die Rolle politischer Institutionen (Gourevitch/Shinn 2005; Tiberghien 2007) sowie auf den Einfluss von Eigentümerstrukturen (Callaghan 2009) hingewiesen. Während sich die genannten Ansätze mit dem Verhalten von Regierungen auseinandersetzen, geht es im vorliegenden Buch um die Frage, welche Rolle die juristische Profession bei den Reformen im Aktienrecht gespielt hat. Mit diesem Fokus soll nicht behauptet werden, dass die Regierungstätigkeit lediglich ein Anhängsel juristischer Prozesse ist oder dass die zitierten Studien unwichtig sind. Zweifelsohne stellen die Untersuchungen zur Regierungstätigkeit einen wichtigen Beitrag zum näheren Verständnis der Entwicklung der Rechte von Minderheitsaktionären dar. Die hier vorgelegte Studie tritt somit nicht in Konkurrenz zu diesen, sondern versteht sich vielmehr als deren Ergänzung. Notwendig erscheint diese vor allem deshalb, weil die legislativen Prozesse Teil eines Komplexes von Interaktionsbeziehungen sind, an denen neben einer Reihe weiterer Akteure auch Gerichte, rechtswissenschaftliche Fakultäten, Anwaltskanzleien sowie Einrichtungen zur Beratung der Regierungen beteiligt sind. So entwickeln die Rechtsanwälte im Auftrag ihrer Klienten innovative Rechtskonstrukte, über deren Legalität vor Gericht entschieden werden muss. Die Rechtswissenschaftler bemühen sich darum, die von den Gerichten getroffenen Entscheidungen zu systematisieren und speisen die Dogmatiken wieder in die Rechtsprechung ein. Gleichzeitig artikulieren sie - zum Beispiel über den Deutschen Juristentag oder über Kommissionen - den von ihnen festgestellten Reformbedarf gegenüber dem Bundesjustizministerium oder anderen Teilen der Exekutive. Ein umfassenderes Verständnis rechtlicher Reformprozesse ist demnach dadurch zu erreichen, dass die Regierungstätigkeit, die zur Ausweitung der Rechte von Minderheitsaktionären beigetragen hat, im Kontext eines juristischen Diskurses betrachtet wird, an dem neben Regierung und Pa...

Inhalt

Inhalt Danksagung ... 7 Einleitung ... 9 Kapitel 1 Juristisches Handeln zwischen juristischen Ideen und wirtschaftlichen Interessen ... 15 1.1 Formale und materiale Rationalität in der Rechtssoziologie Max Webers ... 18 1.2 Zur Logik juristischen Handelns in der Rechtssoziologie Pierre Bourdieus ... 32 1.3 Untersuchungsdesign, Methode, Daten ... 48 Kapitel 2 Der amerikanische Aktienrechtsdiskurs im Kontext der Unternehmensentwicklung ... 53 2.1 Die Managerherrschaft im aktienrechtlichen Diskurs ... 54 2.2 Das Vordringen der Märkte und die Etablierung der Finanzökonomik ... 65 2.3 Die soziale Gegenbewegung und die Reetablierung des Institutionalismus ... 83 2.4 Der Aufstieg der institutionellen Investoren und die Etablierung des Shareholder-Value im aktienrechtlichen Diskurs ... 98 2.5 Fazit ... 106 Kapitel 3 Der deutsche Aktienrechtsdiskurs im Kontext von Entstehung und Transformation des deutschen Corporate-Governance-Systems ... 109 3.1 Das deutsche Corporate-Governance-System im aktienrechtlichen Diskurs ... 110 3.2 Die Auflösung der Deutschland AG im aktienrechtlichen Diskurs ... 129 3.3 Fazit ... 168 Kapitel 4 Aktienrechtlicher Diskurs, manageriale Präferenzen und unternehmensinterne Machtkonstellationen ... 171 4.1 Die Koevolution von aktienrechtlichem Diskurs und unternehmensinternen Machtverhältnissen ... 172 4.2 Die Rolle managerialer Präferenzen ... 182 4.3 Zur internen Logik der Entwicklung juristischer Ideen ... 191 Abkürzungen ......................................................................................................... 194 Literatur .................................................................................................................. 195

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