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Die Leiche als Memento mori

Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Tod und totem Körper, Todesbilder, Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod 2, Todesbilder. Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod 2

Erschienen am 08.02.2010, 1. Auflage 2010
35,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593391649
Sprache: Deutsch
Umfang: 264 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 21.2 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Erfahrung des Todes bleibt notwendigerweise abstrakt, wird allenfalls im Sterben von Mitmenschen greifbar. Der Band nähert sich dieser Diskrepanz aus philosophischer, medizinischer, soziologischer und rechtswissenschaftlicher Sicht und zeigt, welche Bedeutung die konkrete Erfahrung mit der Leiche für das Verstehen des abstrakten Todes besitzt.

Autorenportrait

Julia Glahn, Philosophin und Ethikerin, arbeitet am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen. Brigitte Tag ist Professorin für Straf- und Medizinrecht an der Universität Zürich.

Leseprobe

Thematische Einführung: Die Leiche als memento mori Dominik Groß, Julia Glahn und Brigitte Tag Als einziges lebendes Wesen ist sich der Mensch seiner eigenen Sterblichkeit bewusst. Mit dieser Gewissheit geht jedoch noch kein Wissen darüber einher, wie Sterben und Tod für jeden Einzelnen tatsächlich erfahren werden. Letzteres liegt vor allem daran, dass das Sterben grundsätzlich nicht aus der Ich-Perspektive erlebbar, sondern lediglich indirekt durch das Sterben Dritter wahrnehmbar ist. Niemand kann darüber berichten, wie es ist zu sterben und was uns nach dem Tod erwartet. Auch den ungezählten und äußerst disparaten Berichten von Nahtoderfahrungen stehen viele skeptisch gegenüber. Obwohl das Nachdenken über den Tod genauso alt ist wie das Nachdenken selbst, besteht also eine genuine Unsicherheit darüber, was im und nach dem Tod mit dem Menschen geschieht. Wissen über das Sterben und den Tod erlangt der Mensch allein durch die Beobachtung und Untersuchung sterbender und verstorbener anderer Menschen. Durch das zweigeteilte Bewusstsein, eines Tages sterben zu müssen, diesbezügliche Erfahrungen aber allenfalls im Sterbeprozess machen zu können, erwächst eine tiefe Unsicherheit. Es ist die beschriebene Gleichzeitigkeit der Gewissheit und der Ungewissheit, die ein Spannungsverhältnis und damit auch die gleichzeitige Abscheu und Faszination gegenüber dem Tod und dem toten Körper begründet. Ungezählte Bücher sind über das Sterben und den Tod geschrieben worden; sie zeugen von der anhaltenden Brisanz und Aktualität des Themas. Bemerkenswerterweise steht jedoch die menschliche Leiche als die stärkste und augenfälligste Konkretisierung des Todes in den meisten dieser Publikationen nicht im Mittelpunkt der Betrachtungen. Während der eigene Tod - der Tod in der "ersten Person" - "unerfahrbar" bleibt, manifestiert sich der Tod Angehöriger oder fremder Menschen - der Tod in der "zweiten" oder "dritten Person" - insbesondere in der Leiche. Der tote Körper vermittelt sinnlich und rational, dass ein Mensch gestorben ist, und macht ebendiese Veränderung erfahrbar. Es scheint daher naheliegend, auf der Suche nach vertieften Einsichten zum Themenfeld Sterben und Tod den menschlichen Leichnam stärker einzubeziehen. "Die Leiche als memento mori: Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Tod und totem Körper" fügt sich in die Reihe "Totenbilder. Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod" des Campus Verlags ein und nimmt in elf Beiträgen auf das vielschichtige Phänomen des toten menschlichen Körpers Bezug. Dabei wurde bewusst ein interdisziplinärer und internationaler Zugang gewählt, der philosophische, ethische, medizin(histor)ische, soziologische, kulturwissenschaftliche und rechtliche Perspektiven auf den Tod und den Leichnam zusammenführt. Den Anfang macht der Wissenschaftsphilosoph Peter Caws mit abstrakten Überlegungen zu der Frage, was den lebendigen Organismus eigentlich vom toten unterscheidet und ob der Mensch als Ganzes oder in der Summe seiner Teile nach und nach stirbt. Thematisch daran anknüpfend, stellt der Philosoph und Medizinethiker Ralf Stoecker Überlegungen zum Seinsverhältnis des lebenden Menschen zum zukünftig toten Körper an. Er widmet sich unter anderem der Frage, inwieweit die Leiche identisch ist mit dem verstorbenen oder gar dem lebenden Menschen. Für die Medizinethikerin Julia Glahn, welche die philosophische Sektion abschließt, steht der ontologische Status des Menschen nicht im Vordergrund. Vielmehr versucht sie, über das Interaktionsverhältnis, das zwischen den Lebenden und den Toten besteht, zu begründen, warum Menschenwürde das geeignete Kriterium für einen angemessenen Umgang mit menschlichen Leichnamen darstellt. Die rechtswissenschaftlichen Beiträge der zweiten Sektion gehen insbesondere - aus deutscher wie aus schweizerischer Perspektive - der Frage nach dem rechtlichen Status des menschlichen Leichnams nach. Der Jurist Markus Thier erörtert zunächst, inwiefern aktive und passive Sterbehilfe als Ausdruck eines Rechtes auf einen selbstbestimmten Tod verstanden werden kann. Anschließend analysiert er gemeinsam mit der Strafrechtlerin Brigitte Tag, wie der Umgang mit menschlichen Leichnamen gesetzlich geregelt ist. Beide Autoren zeigen deutlich auf, welche Schranken zum Beispiel dem Handel mit Leichen(-teilen) gesetzt sind, jedoch ebenso, wie zahlreich die Grauzonen und juristisch ungeklärten Fallkonstellationen noch immer sind. In Zusammenarbeit mit der Rechtswissenschaftlerin Susan Maurer analysiert Brigitte Tag abschließend, inwiefern die menschliche Leiche tatsächlich als "res extra commercium", also als "unveräußerliche Sache" verstanden und behandelt wird. Die Physikerin und Neuroethikerin Sabine Müller eröffnet die medizinische Sektion und diskutiert Nutzen und Bedeutung neuer bildgebender Verfahrung zur Diagnostizierung des Hirntodes. Dieses Kriterium zur Feststellung des Todes birgt in sich zahlreiche Ambivalenzen und indiziert insofern den nicht abschließend definierten Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Der Arzt und Medizinhistoriker Christoph Schweikardt untersucht in seinem Beitrag, welche Rolle Klinikern und Pathologen in Bezug auf den kontinuierlichen Rückgang der Sektionszahlen zukommt. Aus Artikeln des Standesorgans Der Pathologe leitet er das Selbstverständnis der Ärzte ab, die sich im beruflichen und wissenschaftlichen Alltag mit menschlichen Leichen auseinandersetzen und versucht so, die Rückwirkungen auf das Bild, die Akzeptanz und Wertschätzung der klinischen Sektion näher zu bestimmen. Nach der medizinischen wendet sich der Band abschließend der gesellschaftswissenschaftlichen Perspektive zu und gibt mit dem Beitrag der ReligionswissenschaftlerInnen und AnthropologInnen Marga Altena, Sophie Bolt und Eric Venbrux Einblick in die niederländische Museumspolitik und den Umgang mit menschlichen Überresten in musealen Ausstellungen. Dabei finden die in der ersten Sektion des Bandes angestellten theoretischen Überlegungen zu Identität und Würde der Toten konkrete Anwendung. Ähnliches gilt für den Beitrag der Soziologin Antje Kahl, die den toten menschlichen Körper aus der Perspektive der Angehörigen und Bestatter betrachtet. Sie untersucht den privaten und den professionellen Umgang mit dem Toten und geht der Frage nach, welche Bedeutung dieser vor allem für die Angehörigen und deren Trauerarbeit besitzt. Die Soziologin Carmen Lubberich schließt alsdann mit ihrer komparatistischen Untersuchung zur "Thanatologie" in Deutschland und im internationalen Kontext die sozialwissenschaftliche Sektion ab. Sie zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie unterschiedlich der Begriff "Thanatologie" international verstanden und definitorisch gefasst wird und resümiert, dass in vielen Ländern noch erheblicher Nachholbedarf besteht, was den trauerbegleitenden Umgang mit dem menschlichen Leichnam betrifft.

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