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Arzneimittelforschung an schwangeren Frauen

Dilemma, Kontroversen und ethische Diskussion, Kultur der Medizin 28

Erschienen am 08.03.2010, 1. Auflage 2010
39,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593390536
Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Arzneimittelforschung an schwangeren Frauen ist in Deutschland weitgehend ein Tabu. Verina Wild analysiert die Gründe für dieses Tabu und regt eine Debatte über das Thema an, wie sie bereits seit Jahren in den USA existiert. Eine Reihe von Forschungsdesigns ist ihrer Meinung nach ethisch durchaus vertretbar, wenn nicht sogar im Sinne der besseren Versorgung schwangerer Frauen zu fordern. Verina Wild betont besonders die Entscheidungszuständigkeit der Frau über ihren Körper, der auf einzigartige Weise mit dem ungeborenen Kind verbunden ist. Daher kommen im Buch in zahlreichen Interviews auch die schwangeren Frauen selbst zu Wort.

Autorenportrait

Verina Wild ist Oberassistentin am Institut für Biomedizinische Ethik am Ethik-Zentrum der Universität Zürich.

Leseprobe

Einleitung Krankheit, Therapie und Forschung in der Schwangerschaft Ein Krankheitsfall in der Schwangerschaft oder die Behandlung eines therapiebedürftigen Fetus sind von besonderer Brisanz. Bei einer anstehenden Medikamenteneinnahme wächst die Sorge um das ungeborene Kind. Werdende Mütter sowie behandelnde Ärztinnen und Ärzte stehen vor einem Dilemma: Potenzielle Schädigungen des ungeborenen Kindes müssen gegen die Behandlungsbedürftigkeit aufgewogen werden. Lapidare Hinweise der Packungsbeilagen leisten angesichts dieses Dilemmas ebenso wenig Hilfestellung wie die Suche nach etwaigen weiterführenden Arzneimittelinformationen oder Metastudien. Meist heißt es so oder ähnlich: "Zum Arzneimittelgebrauch in der Schwangerschaft liegen keine ausreichenden klinischen Studien vor. Das Medikament darf nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung eingesetzt werden." Die Behandlung von Krankheit ist in der Schwangerschaft häufig unumgänglich. Dennoch sind beispielsweise in den USA bisher nur zwölf Medikamente für den Gebrauch in der Schwangerschaft zugelassen (Lyerly u.a. 2008). Repräsentativ für das Problem der Behandlung in der Schwangerschaft ist das Beispiel des H1N1-Virus ("Schweinegrippe") aus dem Jahre 2009. So sind schwangere Frauen bei einer Ansteckung mit der neuartigen Gippevirusmutation besonders gefährdet, lebensgefährlich zu erkranken, und die sofortige antivirale Medikation wird empfohlen (Jamieson u.a. 2009:457). Trotz dieser Empfehlung werden schwangere Frauen zurückhaltender und somit schlechter mit den notwendigen Medikamenten versorgt, was maßgeblich daran liegt, dass es bisher keine Studienergebnisse zur Anwendung der antiviralen Therapie in der Schwangerschaft gibt (Lyerly u.a. 2009). Tag für Tag gilt es also, bei Erkrankungen in der Schwangerschaft trotz der geringen Studienzahl - und daher fehlender Evidenz - verantwortungsvolle und weitreichende Entscheidungen zu treffen, die der Mutter und dem ungeborenen Kind zum größtmöglichen Nutzen dienen sollen. Einerseits kann eine Entscheidung gegen Medikamente ein Risiko für die Gesundheit und das Leben der Frau darstellen, andererseits kann die Entscheidung dafür eine Schädigung für das Kind bedeuten. Aus verständlicher Sorge um den Fetus wird in gegenseitigem Einverständnis zwischen Arzt und Patientin daher häufig für Zurückhaltung bei einer Arzneimitteleinnahme plädiert. Der Mangel an Daten liegt unter anderem in dem häufig kategorisch formulierten Ausschluss schwangerer Frauen von der Teilnahme an klinischen Studien begründet: "Schwangere Personen dürfen in Studien normalerweise überhaupt nicht einbezogen werden." (Kopetz 2002:9). Die Selbstverständlichkeit, mit der schwangere Frauen aus klinischen Studien ausgeschlossen werden, zeigt ein weiteres Zitat aus einer pharmakologischen Forschungsarbeit: "Dass sich eine klinische Prüfung an schwangeren Frauen aus ethischen Gründen verbietet, versteht sich von selbst." (Imhof 2005:5). Auch in der Öffentlichkeit wird Forschung an schwangeren Frauen unhinterfragt als "unethisch" deklariert. Dies zeigen journalistische Bemerkungen im Zusammenhang mit dem Beispiel der Schweinegrippe: "Die Impfstoffe sind bislang nur an wenigen Kleinkindern unter drei Jahren getestet worden - und gar nicht an schwangeren Frauen. Klinische Tests an Schwangeren gelten als unethisch." (Winkelheide 2009). An anderer Stelle heißt es: "Jedoch sind Schwangere, wie bei allen klinischen Arzneimittelstudien, aus dieser Testphase ausgeschlossen." (Langemak 2009:1). Das Paul-Ehrlich-Institut schreibt auf seiner Homepage: "Klinische Studien im Rahmen der Musterzulassung von H5N1 Impfstoffen an Schwangeren sind aus ethischen Gründen nicht durchgeführt worden" (Paul-Ehrlich-Institut 2009). Die ethischen Gründe des Ausschlusses schwangerer Frauen aus Arzneimittelstudien werden nicht weiter definiert, doch liegt es nahe, die tragischen Erfahrungen mit Contergan® in den späten 1950er Jahren als einen wichtigen Anlass für die Entwicklung des heute noch geltenden besonderen Schutz- und Schonraumes für schwangere Frauen zu bezeichnen. Allein in Deutschland wurden damals Tausende von Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft das seit 1957 in Apotheken frei verkäufliche Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan® eingenommen hatten, mit Missbildungen, insbesondere der Extremitäten, geboren. Nicht nur schwangere Frauen wurden seitdem von der Teilnahme an klinischen Studien ausgeschlossen, auch Frauen im gebärfähigen Alter wurden seltener als Probandinnen rekrutiert, um Risiken bei einer unbekannten Schwangerschaft vorzubeugen. Bei der klinischen Arbeit und im Gespräch mit schwangeren Frauen ist jedoch offensichtlich, dass dieses restriktive Modell eine Fülle von Schwierigkeiten birgt. Kaum eine Frau machte während der Schwangerschaft nicht die Erfahrung von Hilflosigkeit angesichts von Krankheit oder Medikamenteneinnahme. In orientierenden Gesprächen zu Beginn dieser Studie berichtete eine Frau von der problematischen Wahl, vor die sie von Ärzten angesichts der Diagnose einer Leukämie gestellt wurde: Schwangerschaftsabbruch und sofortiger Beginn der lebensnotwendigen Krebstherapie oder aber Beginn der Behandlung ohne Wissen um die Schädlichkeit der Medikamente für den Fetus. Die schwangere Frau entschied sich für eine dritte, ihr gar nicht vorgeschlagene Möglichkeit, nämlich für die Fortsetzung der Schwangerschaft ohne therapeutische Maßnahmen - trotz der Gefahr für ihr eigenes Leben. Sie überlebte die Schwangerschaft, und die Therapie konnte nach der Geburt eines gesunden Kindes begonnen werden. Eine andere Frau berichtete, dass sie während der Schwangerschaft mit der Diagnose eines möglicherweise lebensbedrohlichen Herzklappenfehlers konfrontiert wurde. Für eine angemessene Risikoeinschätzung, ob die Schwangerschaft und die Geburt ausgetragen werden könnten, wäre eine Kontrastmitteluntersuchung erforderlich gewesen. Doch auch zum Einsatz von Kontrastmitteln in der Schwangerschaft heißt es lediglich, Risiko und Nutzen müssten gegeneinander abgewogen werden. So ist beispielsweise in den Guidelines for Diagnostic Imaging During Pregnancy der ACOG (American College of Obstetricians and Gynecologists) zu lesen: "The use of radioactive isotopes of iodine is contraindicated for therapeutic use during pregnancy. Other radiopaque and paramagnetic contrast agents have not been studied in humans, but animal studies suggest that these agents are unlikely to cause harm to the developing human fetus. Although imaging techniques requiring these agents may be diagnostically beneficial, these techniques should be used during pregnancy only if potential benefits justify potential risks to the fetus." (ACOG 2004a: 647). Als der werdenden Mutter versichert wurde, es handele sich bei dem Herzklappenfehler sicher nicht um eine erblich bedingte Herzerkrankung, der Fetus sei also mit größter Wahrscheinlichkeit nicht auch betroffen, entschloss auch sie sich für die Fortsetzung der Schwangerschaft ohne weitere diagnostische Maßnahmen. Wie hoch das Risiko für die Frau selbst war, aufgrund der zunehmenden körperlichen Belastungen der Schwangerschaft oder bei der Geburt Komplikationen zu erleiden, konnte also nicht diagnostisch festgestellt werden. Die Entscheidung für das "kleinere Übel" war in beiden eben geschilderten Fällen mit einem Risiko für das eigene Leben verbunden. Außerhalb der Schwangerschaft liegen in solchen Fällen häufig durch Studien belegte Daten vor. Die Frauen hätten keine Bauchentscheidung "auf Leben und Tod" treffen müssen, sondern es hätte ihnen zumindest eine angemessene Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestanden. Die Frage nach Forschung am Menschen ist seit Jahrzehnten Gegenstand medizinethischer Diskussionen. In diesem Zusammenhang spielt der Schutz der Probanden eine zentrale Rolle: Es wird dabei versucht, insbesondere den Schutz von sogenannten "vulnerablen Gruppen" sicherzustellen. Gemeint sind damit Menschen, die aufgrund von eingeschränkter Einw...

Schlagzeile

Kultur der Medizin: Geschichte - Theorie - Ethik Herausgegeben von Andreas Frewer

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